Ebreichsdorf denkt sich smart

VON TIMO KÜNTZLE

Copyright © 2017 Die Presse 08.04.2017

Raumplanung. Wenn Gemeinden wachsen, stellt sich die Frage: Wie? Ein aktuelles Forschungsprojekt unter der Leitung der TU Wien soll zeigen, wie sich die Bevölkerung von Beginn an einbinden lässt

Fix ist nur: Die Stadtgemeinde Ebreichsdorf im Bezirk Baden, südlich von Wien, soll bis zum Jahr 2023 einen neuen Bahnhof bekommen. Und zwar genau zwischen den Katastralgemeinden Ebreichsdorf und Unterwaltersdorf, wo heute noch Landwirte ihre Felder beackern. Die bestehenden Bahngleise innerhalb der besiedelten Fläche sollen verschwinden. Hauptgrund ist der platzbedürftige, weil zweigleisige Ausbau der sogenannten Pottendorfer Linie. Deshalb schwenkt die 52 Kilometer lange Bahnstrecke zwischen Wien-Meidling und Wiener Neustadt künftig über die sprichwörtliche grüne Wiese bei Ebreichsdorf. Jedoch: Was tun mit so einem neuen Bahnhof? Einfach Pendler-Parkplatz daneben bauen und Bahnhof Bahnhof sein lassen? Aufkommende Überlegungen fasst Thomas Dillinger vom Department für Raumplanung der TU Wien zusammen: „Wenn man einen neuen Bahnhof baut, von dem man künftig in 25 Minuten in Wien ist, dann wäre es im Sinne einer nachhaltigen Raumplanung möglich, dass man an diese Infrastruktur auch Siedlungsentwicklung anknüpft.“ Aufgrund der Nähe zu Wien wächst die 10.000-Einwohner-Gemeinde ohnehin schon rasant. Und eine schnellere Bahnanbindung macht Städte für Pendler auch nicht gerade unattraktiver. „Daraufhin haben wir mit der Stadt und unseren Partnern ein Forschungsprojekt bei der Smart-City-Schiene des Klima- und Energiefonds eingereicht, das zeigen soll, wie und unter welchen Umständen man den Ort auf dieser Fläche weiterentwickeln kann“, erklärt Projektmanager Dillinger. Neben der TU sind der Energiepark Bruck/Leitha und die Energie- und Umweltagentur Niederösterreich beteiligt.

Bahnhof als Brücke?

Zentral ist die Frage, welche Rolle der neue Bahnhof spielen soll und wie der Ort zur Smart City Ebreichsdorf werden kann; also zur intelligenten Stadt, die in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht sinnvoll wächst
Vier unterschiedliche Szenarien stellten die Forscher zur Diskussion. Szenario zwei sieht zum Beispiel vor, lediglich den Bahnhof zu errichten und Baumaßnahmen in seinem Umfeld auf das zu beschränken, was er in seiner Funktion als Knotenpunkt braucht. Fahrradabstell- und Autoparkplätze zum Beispiel. Neu aufkommender Wohnbedarf soll durch die Nutzung von Leerständen oder der dann aufgelassenen alten Bahntrasse gedeckt werden
Ganz anders dagegen Szenario vier mit der Bezeichnung Bahnhofsquartier als Brücke. Nach dieser Vorstellung soll ein ganz neuer Ortsteil entstehen, über den die bislang getrennten Teile zusammenwachsen. „Das eine ist eher der Bahnhof im Grünen, beim anderen könnte er eine Funktion als drittes Zentrum inklusive Geschäften, sozialen Einrichtungen und einem entsprechend gestalteten Vorplatz einnehmen“, verdeutlicht Raumplaner Dillinger. Auch kulturelle Angebote seien dann denkbar. Wichtig ist Dillinger der rein hypothetische Charakter aller vier Szenarien. „Szenarien sind keine Planungsvarianten, das muss man immer wieder betonen.“

Wie soll es erreichbar sein

Vielmehr handle es sich um eine raumplanerische Technik, um die jeweiligen Konsequenzen aufzuzeigen und eine bessere Entscheidungsgrundlage zu bekommen. „Es ist auch denkbar, dass daraus Mischformen entstehen“, so Dillinger. Für die Einwohner der beforschten Stadt galt und gilt es weiter, sich über vielerlei Gedanken zu machen: Will man, dass Ortsteile zusammenwachsen, oder sollen auf dem 1000 Meter breiten Puffer-Streifen auch weiterhin kreuzende Traktoren für eine sichtbare und womöglich identitätsbewahrende Abgrenzung sorgen? Wie soll der Bahnhof zu erreichen sein? Wo sollen sich Zuziehende ansiedeln? Wie viel Verdichtung innerhalb der bisherigen Siedlungsgrenzen wäre möglich; wie viel erwünscht?

Aktive Beteiligung im Ort

Während der rund einjährigen Laufzeit des Projekts konnten sich Herr und Frau Ebreichsdorf einbringen. Es gab Informationsveranstaltungen, Diskussionsrunden, einen Workshop mit Schülern des Gymnasiums von Unterwaltersdorf. Und die Offene Zukunftswerkstatt, wo in Arbeitskreisen Aspekte wie die Verkehrsentwicklung, die Funktion des Bahnhofsgebäudes, der Zielkonflikt zwischen Bauplatzbedarf und dem Erhalt von Grün- und Ackerflächen oder Möglichkeiten der Energieversorgung am Tableau standen. Bei Feuerwehrfesten und Kirtagen standen die Forscher bereit. „Aus Erfahrung wissen wir, dass man mit Workshops im Rathaus nur ein gewisses Zielpublikum erreicht. Steht man mit seinem Banner beim Feuerwehrheurigen, dann kommt manch einer zwischen Bier oder Spritzer und fragt ,Was macht ihr da?‘. So beteiligen sich wieder ganz andere“, schildert Dillinger, was sich im Wissenschaftsjargon „aufsuchende Beteiligung“ nennt
Vier Zeitungen mit den Infos zum Projekt gingen jeweils an alle 5000 Haushalte der Stadt. „Bei einer smarten Stadtentwicklung geht es auch darum, bei langfristig wirkenden Entwicklungsfragen die Bevölkerung schon im Nachdenkprozess einzubinden; also nicht erst damit konfrontieren, wenn man die Pläne schon fertig hat.“ Aus den gewonnenen Erkenntnissen sollen alle Beteiligten lernen. Ob am Ende tatsächlich mehr als nur ein gemeiner Bahnhof dabei herauskommt, entscheidet der Gemeinderat.
[ TU Wien ]

LEXIKON
Bei der Raumplanung handelt es sich um eine integrative Wissenschaft, die das Zusammenwirken vieler einzelner Disziplinen im geografischen Raum erforscht. Bei der Neugestaltung von Siedlungsräumen muss sie architektonische, verkehrsplanerische, landschaftsarchitektonische, soziale, umweltpolitische und viele weitere Aspekte berücksichtigen.